KAFKAesque 

KAFKAesque 

KAFKAesque

DOX Prag

Prag ist ja definitiv eine Reise wert und gar nichtmal weit sondern mit unserer und der tschechischen Bundeseisenbahn bequem zu erreichen. Die Prager Burg ist von gigantischen Ausmaßen, und mit erhöhtem Besucheraufkommen ist ebenso zu rechnen. Am sonnigen Samstagmorgen sind wir dann los spaziert und hörten von weitem schon DIE Moldau. Also nicht den Bach, sondern die von Herrn Smetana. Was irgendwie den Tag beschwingt hat. Geradezu ein Ohrwurm, der einen für den Rest des Tage begleitet hat.

Aber es wurde voller und voller, und die Musik stetig lauter. Da sind wir Punkt zehn mitten in den Start des immerhin 16.000 Teilnehmer zählenden Halbmarathon geraten. Ein gewaltiges Besucher- und Läuferaufkommen. Bis hierher und nicht weiter — bis sie dann alle an uns vorbeigejoggt waren. Wir mussten uns erstmal in einem gut besuchten Café mit einem leckeren Frühstück stärken bevor es weiter zum nicht ganz so stark besuchten DOX ging um deutlich schwerere Kost zu genießen.

Dreißig für Franz

DOX ist das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Tschechien und mitten in Prags aufstrebenden Viertel Holešovice. Mehrere alte Fabrikgebäude, die ziemlich cool zu einer Galerie umgebaut wurden und sogar für den Mies-van-der-Rohe-Preis nominiert waren. Tschechische und internationale junge Künstler werden hier gezeigt. Und wie soll es anders sein, zum 100. Todestag von Kafka ging es in dessen Geburtsstadt ganz schön KAFKAesque zur Sache.

Vogelperspektive in Ausstellung mit Bildern und großen Hornlautsprechern
dunkler Flur in einer Ausstellung mit Textpassagen und Animationen
Ausstellungsraum mit Skulptur, Video und Bildern
schwarze Zeichnung mit zwei Personen auf weißer Wand
düsterer Ausstellungsraum mit großformatigen Bildern an Wand

30 Zeitgenössische Künstler haben Kafkas Werk reflektiert und dessen Welt mit ihren Augen neu dargestellt. Die Werke sind von der Machart alle sehr unterschiedlich und einige ziemlich verstörend. Manche gehen textlich, andere malerisch, skultptural, mit bewegtem Bild oder gar als Installation daran, ihre eigenen Visionen von Kafka inspiriert zu schaffen. Und diese Werke sind zumindest teilweise so schwer wie die des Meisters selbst zu entschlüsseln oder zu interpretieren. Ziel war es Künstler zu finden, die eine persönliche Beziehung zu Kafkas Welt aufgebaut haben. Ob dies gelungen ist, muss der Betrachter wohl selbst entscheiden. Spannend war es allemal.

Porträt von Franz Kafka

Gullivers Airship

Das DOX hat viel zu bieten, neben besagter umfangreicher Ausstellung gab es zwei weitere spannende Künstler zu sehen. Transforman von Pavel Forman mit (Alp-)traumhaften Gemälden, sowie Kamila Ženatás illustrative Interpretation des Gedichts „Everything like at the dawn of the world“ von Václav Hrabě. Ihre vielschichtigen abstrakten Werke gehen von den Wurzeln zu den Sternen. Das Universum spielt für sie eine große Rolle — der Anfang der Welt. Nach soviel schwerer Kunst wären wir am liebsten in Gullivers Zeppelin gestiegen, der auf dem Dach des DOX geparkt hat. Haben uns dann aber doch zum Bahnhof geschleppt und uns in die Sitze des RJX Richtung Heimat fallen lassen, immer noch die Moldau im Ohr. Ab nach Hause – da gab es noch Mutters Geburtstag zu feiern und sicher einen leckeren Kuchen!

skurrile Gemälde mit fischähnlichen Vögeln
bunte abstrakte Bilder an Ausstellungswand

Zhanna Kadyrova

Zhanna Kadyrova

Zhanna Kadyrova

UNEXPECTED

Aufgefallen war uns das Plakat schon zwei Tage zuvor, aber wir hatten vier desinteressierte Amerikaner im Gepäck die nicht zu einer unerwarteten Kunstausstellung in der Tschechischen Philharmonie passten. Schließlich hatten wir aber die Zeit – die Amis sind shoppen – doch mal genauer zu schauen. Und so führte uns unser Weg ins Gebäude, „Rudolfinum“ genannt, und in die sich darin befindende gleichnamige Galerie. Mit kostenfreiem Zutritt. Die Hürde war also nicht besonders groß!

KRIEG!

Die ukrainische Künstlerin Zhanna Kadyrova arbeitet in der Ausstellung den unerwarteten und heimtückischen Überfall Russlands, am 24. Februar 2022, auf die Ukraine auf. Unerwartet wird das Land verwüstet, unerwartet Häuser zerbombt, unerwartet schlagen Granaten ein, unerwartet werden Menschen zu Flüchtlingen. UNEXPECTED.
Ausstellungsraum mit weißem Raum in Raum
Vier gezeichnete Portraits an Wand
Einschussloch in Asphaltplatte als Kunst

Ungerecht

Auch Zhanna Kadyrova wird unerwartet zum Flüchtling. Im Dorf Berezovo in den Karpaten findet sie Zuflucht. Sucht nach Antworten, will weiterhin Kunst machen und damit ihr Land unterstützen. Sie will mit ihrer Kunst auf den Krieg und die große Ungerechtigkeit, die Land und Leute unerwartet heimsucht, aufmerksam machen.

Zerstörung so weit das Auge reicht

Wenn man die Ausstellung betritt, weiß man im ersten Moment noch nicht was einen erwartet. Da stehen weiße, geometrische Formen im Raum mit Schusslöchern, an den Wänden weiße und schwarze Kacheln, auch mit Schusslöchern und Rissen. Hmmm. Im nächten Raum rechteckige große Asphaltstücke — aus der Straße geschnitten mit Einschlaglöchern von Granaten. Es dämmert. Zeichnungen von Gesichtern daneben. In einem Raum im Raum liegen große Kiesel-Steine, in Form von Broten, davon Scheiben heruntergeschnitten. Diese „Brote“ verkauft Kadyrova um die Menschen in ihrer Heimat zu unterstützen.

Steinerne Brote teilweise aufgeschnitten als Kunst-Skulpturen
Skulpturen und Wandbilder in geometrischen Formen mit Einschusslöchern
Einschüsse auf quadratischen und runden Platten
Namen von zerstörten kulturellen Einrichtungen an einer Ausstellungswand

Durchlöchert

Im nächsten Raum stehen die Namen von kulturellen Einrichtungen an der Wand, die durch den Krieg zerstört wurden. In einem weiteren Raum, dieser ist abgedunkelt, steht ein kleines Haus. Darin ein riesiger Kronleuchter. Hell erleuchtet. Das Licht fällt durch die von Einschüssen durchlöcherten Wände nach außen und hinterlässt sein Lichterspiel an der Wand. Schön schaurig, unerwartet.

Kunst-Installation eines im Krieg zerstörten Hauses mit Einschusslöchern und Licht das nach außen dringt

Hoffnung

In einem weiteren Raum stehen Leuchtwände mit Bildern aus verlassenen Häusern, die einen erfassen, nicht nur durch das helle Leuchten. Verlassen, verwelkt, unerwartet. Doch dann, man geht weiter — es grünt! Kadyrova hat auf ihren Reisen durch die zerstörten und verlassenen Gebiete Pflanzen gesammelt, die es geschafft haben zu überleben. Ein Symbol. Auch unerwartet. Diese Pflanzen geben Kraft weiter zu hoffen, dass ein Ende des Krieges kommt und die Menschen wieder eine Perspektive bekommen. Hoffen wie es!

Verlassene Häuser auf Leuchtwänden
Grünpflanzen in einer Ausstellung

Unterstützenswert

Zhanna Kadyrova wurde 1981 in der Nähe von Kiew in der Ukraine geboren. Dort lebt und arbeitet sie zur Zeit. 1999 hat sie ihren Abschluss an der Staatlichen Taras-Schewtschenko-Kunstschule gemacht. Sie hat mehrere Kunstpreise gewonnen, auch in Miami, und vertrat auf der 58. Biennale in Venedig ihr unerwartet zerstörtes Land. Sehens- und unterstützenswert!