Schauwerk Sindelfingen

Schauwerk Sindelfingen

Schauwerk Sindelfingen

 

Spannende Architektur

Schon allein das Gebäude des Schauwerk Sindelfingen macht beim Besuch des Museums Eindruck. Ein gelungener Mix aus einer umgebauten alten Shedhalle, einem ehemaligen Hochregallager mit umlaufenden Aufgang und dem Neubau „White Cube“. Alles ist strahlend weiß, luftig, riesig und bietet den Kunstwerken genug Raum um zu wirken. Der richtige Ort für die Ausstellung der gigantischen Bilder von Ben Willikens und einer ganz besonderen Installation, von der später noch berichtet wird.

moderner Aufgang in Weiß
Ausstellungsraum mit NS-Architektur-Gemälden und einer Skulptur

Eisige Räume

Die Retrospektive „Raum und Gedächtnis“ des Malers Ben Willikens beginnt mit großformatigen Gemälden, die verschiedene, menschenleere Räume abbilden. Die exakte, perspektivische Konstruktion und die kalte, fast ausschließlich von Grautönen beherrschte Farbpalette lassen die Bilder unglaublich streng und präzise erscheinen. In der ORTE-Serie setzt sich der Künstler mit nationalsozialistischen Monumentalbauten auseinander und bringt durch die Reduktion von Form und Farbe das Machtgefüge zum Ausdruck.

Es werde Licht!!

Interessant ist die Auseinandersetzung mit Licht in diesen akribischen Bildkompositionen, die beinahe ausschließlich aus geometrischen Elemente wie Quader und Kugeln bestehen. Sowohl helle als auch dunkle Bereiche schaffen es, die Betrachter in die Tiefe der dreidimensional wirkenden Architektur zu ziehen. Schatten verstärken das leblose, eisige Raumgefühl. Spannend, dass diese strengen Bildaufbauten zugleich flach und außerordentlich tief wirken können.

Acryl-Gemälde eines leeren Raumes mit einfallendem Licht aus Fenstern im hinteren Bereich
Bedrückende Bilder von Klinik-Interieur in einer Ausstellung

Es werde bitte mehr Licht!

Ein weiterer Abschnitt in Willikens Schaffensphase befasst sich mit seinem Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik. Seine Anstaltsbilder zeigen kahle, menschenleere Räume, Möbel und Instrumente des Sanatoriums in einer unwohligen Kälte. Immer wieder gibt es den Blick aus einem Fenster, bei dem man sich beinahe wünscht, aus dem dargestellten, eiskalten Raum hinaus ins Licht gesaugt zu werden. Irgendwie bedrückend!

Kahler, menschenleerer Raum mit einem langen Tisch, Da Vincis Letztem Abendmahl nachempfunden

Ben Willikens Version des letzten Abendmahl von Da Vinci ist ein 3x6m großes Acrylgemälde, vollkommen menschenleer und in einen modernen, kalten Raum transferiert.

Modernes Deckengemälde mit grauen Hochhäusern und Blick auf einen blauen Himmel

Bestimmt noch eindrucksvoller ist das 462m2 große Deckengemälde „Leipziger Firmament“. Es befindet sich im Museum der bildenden Künste in Leipzig, aber ein Abbild davon ist im Schauwerk Sindelfingen zu sehen. Umringt von grauen Gebäuden wird der Blick auf den strahlend blauen Himmel darüber gezogen.

Kunstinstallation mit Fäden und schwebenden Buchstaben
rote verwobene Wolle mit Büchern und losen Blättern

Silent Word

Apropos Blick nach oben, gleich nebenan im ehemaligen Hochregallager befindet sich eine faszinierende Installation der Künstlerin Chiharu Shiota. Sie trägt den Namen„Silent Word“ und besteht aus unzähligen schwarzen Fäden, an denen Buchstaben befestigt sind und sich vom Boden bis an die Decke des 15 Meter hohen Raumes erstrecken. Im Zentrum steht ein Sekretär mit Stuhl, von dem aus sich die Buchstaben ausdehnen. Besonderen Spaß macht der spiralförmige Aufgang, über den man die Kunstinstallation von allen Seiten betrachten kann, gleichzeitig an Höhe gewinnt und schließlich von ganz oben in ein Gewirr an Fäden und Buchstaben herabblickt.

Lithografie in schwarz-weiß

Hier möchte man verweilen und sich in den schwebenden Buchstaben verlieren. Aber unser Ausflug nähert sich dem Ende und wir verlassen nach einem Abstecher in den Kessel den Raum Stuttgart.

Blick nach oben in eine Gewirr aus Fäden und Papier-Buchstaben
Victor Vasarely

Victor Vasarely

Viktor Vasarley

Der Meister der optischen Täuschung

Wir haben die Sonderausstellung „Im Labyrinth der Moderne“ im Städel in Frankfurt am Main besucht und waren von der Komplexität der gezeigten Werke beeindruckt. Vom 26. September 2018 bis zum 13. Januar 2019 präsentiert die Retrospektive über 100 Werke des Jahrhundertkünstlers Victor Vasarely. Sein Talent mit Formen Räume zu konstruieren und zu erweitern ist dabei nicht nur optischer, sondern auch architektonischer Natur. Die vielfältigen Werke konstruieren räumliche Dimensionen und erschaffen eine alltagstaugliche Gesamtkunst.

Vasarely schafft Räume

1972, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, gestaltet Vaserely den Speisesaal in der Zentrale der Deutschen Bundesbank. Die oftmals hochrangigen Gäste speisen in einem Op-Art Komplettkunstwerk. Dies entstand aus 582 kreisrunden Scheiben, die in Gelb, Ocker, Silber und Schwarz schillern. Vasarelys Wunsch, Kunst in den Alltag der Menschen zu integrieren, wird an diesem architektonischen Meisterwerk besonders deutlich – denn Kunst und funktionaler Raum ergeben hier eine artistische Einheit. Dabei beschränkt sich Vasarelys Werk nicht nur auf die Gestaltung der Wände, sondern integriert auch die Möblierung und restliche Gestaltung des Raumes. Die optimale Verschränkung zwischen Kunst und Alltag hat sich bewährt. Bis heute wurde sein Raumkonzept im 13. Stock der Bundesbank nicht verändert.

Dreidimensionale Flächen

Vasarelys komplexe Schaffensphase erstreckt sich über ganze sechs Jahrzehnte. Nach seinem Studium in Budapest immigriert Victor Vasarely nach Paris und arbeitet dort tagsüber als Werbegrafiker, nachts als Künstler – seine beruflichen Kenntnisse machen es ihm möglich, aus Linien Flächen und Volumen zu konstruieren. Im Gedächtnis bleibt er vor allem als Mitbegründer der Op-Art, der optischen Kunst, die mit der Wahrnehmung des Betrachters und optischen Täuschungen spielt. Eine scheinbar dreidimensionale Welt, erschaffen aus Formen und Kontrasten.

Mehr zum Thema optische Täuschungen gibt es in unseren Blogbeiträgen zu Vertigo und ART Karlsruhe.

Fotos aus der Ausstellung „Im Labyrinth der Moderne“ im Städel Museum Frankfurt.

„Das plastische Alphabet“
– Kunst für alle

Da jeder von einem künstlerisch gestalteten Umfeld im Alltag profitieren soll, erschafft der Künstler ein einfaches, übertragbares System, das „plastische Alphabet“. Dabei dient das Quadrat als Basis und wird mit anderen geometrischen Grundformen kombiniert. Sechs vorgegebene Grundfarben bilden „plastische Einheiten“. Diese bieten, vergleichbar mit Buchstaben in einem Alphabet, schier unendliche Kombinationsmöglichkeiten zur Schöpfung eines Kunstwerkes. Seine einmalige Idee lässt Vasarely 1963 patentieren und bringt noch im gleichen Jahr einen Baukasten auf den Markt, der „Kunst nicht nur für eine Elite von Kennern“ zugänglich macht. Daraus resultierend macht das „plastische Alphabet“ eine effiziente Reproduktion von Kunstwerken möglich – die „Multiples“ entstehen. Vasarely nutzt die Möglichkeiten seines ausgeklügeltes Systems nicht nur zur Gestaltung von Gemälden und Druckgrafiken, sondern auch von Tapeten, Stoffen und Möbeln.