Erwin Wurm

Erwin Wurm

Erwin Wurm

Großes Tennis 7:0

Als wir dieses Mal in Wien waren, hatten wir viel vor oder besser gesagt alle Füße voll zu laufen. Erst die Design Week (siehe unseren Blogbeitrag dazu), dann zwei Tage auf die Messe der Wirbelsäulenspezialisten wegen und dazu natürlich die Ausstellung zum Siebzigsten von Erwin Wurm in der Albertina Modern am Karlsplatz.

Ausstellungsraum mit bunten Bildern von Denise Thomasos

Fettes Fest

Der gewitzte Herr Wurm hat wie gewohnt mächtig Gas geben und alles aufgefahren – von Studienbeginn bis heute – und er scheint kein bisschen müde zu sein, sondern innoviert sich immer wieder selbst. Die Albertina Modern hat sich auch nicht lumpen lassen und ihm 14 Räume zur Verfügung gestellt, um uns seine verrückte Welt näher zu bringen. Eigentlich wollte er Maler werden, landete im Studium aber überraschend bei den Bildhauern und musste sich erstmal mit dem Thema anfreunden. Er hinterfragt den Begriff „Skulptur“ in jeglicher Dimension, fügt seinen kuriosen Humor dazu und bringt so den Betrachter mehr als einmal zum Schmunzeln. Hinzu kommt das kritische Hinterfragen unserer Gesellschaft — Gier, Überfluss, Konsum.

Skulpturen aus Holz und Metall, die eine sitzende und stehende Person darstellen

Der Anfang

Zu Beginn seiner Karriere verwendet er überwiegend Materialien, die er findet, Holz, Metall, Kleidung, und bemalt seine Werke dick mit Farbe. Ziemlich bald übernehmen das die Textilien, welche die Form umspannen. Mit der Kleidung fängt er an den Skulpturen Persönlichkeit zu geben. Zudem beginnt er damit die Proportionen und Volumen der Figuren zu verändern. Damit zieht seine Art von Witz in seine Kunst ein, In gewisser Weise wird es auch komikartig, noch mehr bei den Taschen. Er will die ganze „Wesensart des Menschen abhandeln“. Er ist ein Beobachter seiner Umwelt und personifiziert seine Skulpturen mit Statussymbolen. 

Minimalistische Skulpturen mit Kleidung angezogen von Erwin Wurm
Skulpturen aus rechteckigen Körpern mit Beinen, vollständig angezogen
Skulpturen die eine Aktentasche und eine Handtasche auf langen, dünnen Beinen zeigen

Die Gurke

Zum ersten Mal haben wir vor vielen Jahren in München eine seiner Ausstellungen gesehen. Damals habe ich mich schiefgelacht über das Selbstporträt als Gurke. Der gleichnamige Ausstellungskatalog steht daheim noch im Regal und ist an der dicken Gurke darauf nicht zu verkennen.

Die Gurke ist für Wurm österreichische Tradition, Essgewohnheit und Kultur. Ich hatte übrigens morgens unglaublich leckere saure Gurken zum Frühstück bekommen. Nun, eigentlich sollte die Gurke ein „Pokal“ werden. Wurde aber abgelehnt, im zweiten Anlauf hat es geklappt. Die Gurke als Trophäe, latent kritisch. Eine Gurke ist eine Gurke ist eine Gurke, unverkennbar und doch jede individuell. Und als Selbstporträt dann auch ein Kunstwerk!

Grüne Essiggurke in einer Ausstellung von Erwin Wurm

Schmelzende Häuser und fette Karren

Wurm ändert nicht nur Maße und Volumen, sondern auch die Aggregatzustände seiner Skulpturen. So schmelzen fortan Gebäude dahin oder zu Blech gewordene Statussymbole verfetten und fließen dahin wie Spiegeleier. Nicht nur lustig, sondern auch begehbar ist die kleine Dorfschule.

Rotes, dickes Cabrio als  Skulptur in einer Ausstellung von Erwin Wurm
Blauer Text auf weißem Grund mit der Aufforderung ein Kleidungsstück völlig verkehrt anzuziehen und in der Position zu verharren

Ab hier wird es interaktiv und der Künstler fordert einen auf, sich als „One Minute Sculpture“ an der Ausstellung zu beteiligen. Mit kurzen Anweisungen sagt er welche Position einzunehmen ist, gerne auch mit Utensilien verziert. Diese Position muss man dann eine Minute innehalten. Man wird für 60 Sekunden selbst zur Skulptur. Welch großartiger Einfall!

Kunstdrucke von Personen, die in eigenwilligen Positionen verharren und mit Gegenständen verziert sind
Skizzenhafte Zeichnung eines Mannes mit einer riesigen violetten Brille
Textile Hüllen ohne Körper in der Ausstellung von Erwin Wurm

Neue Werke

Mit der Serie Substitutes schafft Wurm Menschen die durch ihre textile Hülle ohne Körper funktionieren. Aus Metall gegossen, wie alte Meister, aber modern, meist knallig und einfarbig bemalt. Man sieht die Person, ohne dass sie präsent ist. Besonders beeindruckend gelingt ihm das mit Balzac. Ein Haufen Kleider und Textilien  übereinander drapiert — es ist offensichtlich wer da vor einem steht. Rodins Balzac, neu interpretiert. Super!

Bild mit riesig aufgeblasenen Buchstaben und eine flache, weiße Skulptur davor

Zum großen Finale gibt es flache, dicke Typo gepaart mit „Skins“. Bei letzteren schneidet er Abgüsse von Personen in schmale Streifen und lässt diese im Raum stehen, gerne in gewohnt seltsamen Posen. Eine logische Fortführung der körperlosen Substitutes. Unverkennbar macht das innere Auge ein ganzes daraus. Und mit den Flat Sculptures hat er endlich den Kreis geschlossen und bringt malerisch aufgeblasene Begriffe auf die Leinwand. 

Also auf keinen Fall verpassen und eine Runde Geburtstag feiern mit Herrn Wurm. Gemma, gemma, auf geht’s!

Vienna Design Week

Vienna Design Week

Design Week

in Vienna

Am ersten Tag unseres zweiten Kurztrips nach Wien in diesem Jahr stand ein Besuch auf der Design Week an. Wir sind immer ganz gespannt, was für Ideen, Produkte, Materialien, Projekte andere Designer und gestalterisch tätige Unternehmen kreieren. Im Grunde ist die Design Week über die gesamte Stadt Wien verteilt, viele Büros, Ateliers, Geschäfte haben daran teilgenommen. Von kleinen Designbüros oder Manufakturen bis hin zu global Playern wie RADO oder IKEA — entdecke die Möglichkeiten. Letztere fungieren natürlich auch als Sponsoren. 

Auf der Baustelle

Mir hat ja schon die „Main Location“ an sich gefallen, etwas außerhalb gelegen und brillanterweise auf einer Baustelle! Wien stampft da gerade einen kompletten, neuen Stadtteil aus dem Boden. Da sind natürlich einige Gebäude mehr und weniger weit fertiggestellt. Eines davon erstreckt sich gefühlt über einen halben Kilometer entlang der Stadtautobahn und ist aus dem gröbsten Rohbau raus. Die Gipskartonwände sind gespachtelt, der Estrich liegt und auch Fenster und Türen sind schon voll funktionstüchtig, ebenso wie Treppengeländer. Hier gibt es also genügend Räume für eine temporäre Ausstellung. Perfekt!

Und auf dem Dach gab es gleich eine beeindruckende Installation: eine Photovoltaikanlage aus hochmodernen, wenige Millimeter starken Glaspaneelen, die sich quasi frei schwebend über die gesamte Gebäudelänge erstreckten und dort gleichzeitig als Schattenspender auf den Dachterrassen fungieren. Jetzt kommt der Knaller: die SoliTek-Module sind extrem nachhaltig, erfüllen den Cradle-to-Cradle Gold-Standard – grüner geht (fast) nicht – und kommen auch noch aus Europa. 

Blick über das Dach eine großen Gebäudekomplexes mit Photovoltaikmodulen
Ausstellungswand auf der Vienna Design Week mit verschiedenen Produkten

Die umfangreiche Ausstellung zeigt im Fokus die österreichische Designszene und macht die Gestaltungsansätze an mehr oder weniger konkreten Produkten sichtbar. Im Vordergrund stehen dabei Form, Funktion, Nachhaltigkeit, Ästhetik und Materialität.

Fantastisches Plastik

Dann sind wir auf ein tolles Material mit dreidimensionaler Wirkung gestoßen, das aus recyceltem Material besteht und wiederum voll recyclebar ist. Diese FANTOPLAST Paneele könnten wir uns gut im Messebau vorstellen, nicht nur als Plattenmaterial sondern auch verformt – bedruckt werden kann es obendrein. Nur günstig ist es nicht. Aber irgendwas ist ja immer. 

Kunststoff-Granulat
Recyceltes Plattenmaterial aus Kunststoff auf einem Tisch

Träsh?

Unsere Lieblinge aus der Kategorie Fokus Trash Made in Vienna sind Louis Funkes Kronleuchter und Virginia Jakims Stehlampe. Lustig anzuschauen und 100% Upcycling. Dazu gehören auch die verrückten Möbel — EXQUISITE CORPSE — von Barbara Gollackner und Eldine Heep in der Tradition französischer Surrealisten. Die abgefahrenen Vasenkreationen, bei deren Entwurf Maruša Mazej vermutlich beim Besuch des letzten Polterabends inspiriert wurde, dürfen in unserer Aufzählung nicht fehlen.

Leuchte in Form einer rosaroten Blume ausgestellt auf der Vienna Design Week
Kronleuchter aus Plastik-Müll
Glühbirne auf rundem Holzbrett als Leuchte
Verrückte, violette Vasen, die teilweise zerstört sind

Innovative Baustoffe

Ziemlich krasse Materialien bringen BIOFABRIQUE VIENNA gemeinsam mit Atelier LUMA (LUMA Arles) an den Start: Mit neuen Denkansätzen wollen sie innovative Materialien schaffen bspw. aus Abfall und am besten lokal produziert. Dieses bioregionale Pilotprojekt wird von der TU Wien unterstützt. Entwickelt werden Baustoffe wie Ziegel, Paneele, Lasuren und Keramiken. 

Materialmuster von Baustoffen, die zum Teil aus Abfall bestehen
Installation aus Holzstäben und einem papierbasierten Baumaterial

Eine recht progressive Installation namens „Spielraum“ hat Half Forms gezeigt – mit dem Ziel, dass die Besucher sich dem papierbasierten Baumaterial „Vulkanfieber“ spielerisch nähern können. Insbesondere zum Klettern regt es an. Eltern haften für ihre Kinder. 

Eine Vielzahl an Ateliers und Manufakturen

Ein weiteres Highlight sind die Lampen von HELLER & DIMMER aus deren Leuchtenmanufaktur. Um damit nur einige wenige der unzähligen Projekte vorzustellen.

Umfangreichere Einblicke gibt es über die Website der Vienna Design Week. Und das Tollste dabei sind die Eindrücke aus den jeweiligen Ateliers, die über die Stadt verteilt sind. Besonders begeistert hat uns hier FEINEDINGE, eine Porzellanwerkstatt in Wiens 4tem Bezirk. Filigrane Werke aus feinstem Porzellan, da muss man einfach mal reinschauen und staunen, der Elefant sollte aber zuhause bleiben.

Leuchten an schwarzen Schnüren aufgespannt

Firelei Bâez @ Louisiana

Firelei Bâez @ Louisiana

Firelei Bâez

@ Louisiana

Skulpturale Darstellung eines Sprungbretts, das durch das Fenster in den Außenbereich ragt

Erster Mai, strahlender Sonnenschein, skandinavische frische Brise, los geht es von Kopenhagen Richtung Louisiana. Eine tolle Fahrt am Meer entlang mit enttäuschender Frühstücksunterbrechung, aber irgendwas ist ja immer. Wir kommen kurz nach 11 Uhr auf dem bereits ziemlich gefüllten Parkplatz an. Krass denken wir, da die Pforten gerade mal vor wenigen Minuten geöffnet haben. Aber die Lage ist relativ entspannt, das Areal riesig. Es verteilt sich und die meisten scheinen zum Frühstücken erstmal ins Restaurant zu gehen.

Skulpturen in einem grünen Park

Ein toller Park am Meer, die vielen würfelartigen Gebäudeteile purzeln um einen herum und dazwischen stehen nett platzierte Skulpturen. Alles von Rang und Namen. Henry Moore, Roy Lichtenstein, Alexander Calder, Joan Miro, Max Bill und zum Auftakt steigen wir direkt in den Spiegelwürfel von Yayoi Kusama. Voll gefläsht stolpern wir weiter durch den Park und kommen vor William Kentridges aufwendiger, raumgreifender Installation wieder auf die Füße. Da geht es echt ab. Als Mannheimer muss man nicht soweit fahren: im Dachstübchen der Kunsthalle ist er auch zu finden. Er hat übrigens gerade den Folkwang-Preis erhalten. Aber zurück zu Louisiana.

Wer hat denn das hier hingestellt?

Der ursprüngliche Besitzer der alten Villa hatte drei Ehefrauen, alle hörten auf den Namen Louise. So hatte er sein Anwesen dann irgendwann Louisiana getauft. Den Namen hat der Nachbesitzer und Gründer des Museums Knud W. Jensen beibehalten. Er war kunstbegeisterter Unternehmer und startete nach dem Verkauf des Unternehmens den Bau des Museums, welches er 1958 eröffnete und lange kuratierte. Die Gebäude wurden über die Jahre erweitert, geschickt in den Hang gebaut und die Ausstellungsflächen sind sowohl über, als auch unter der Erde. Es gibt tolle Ausblicke, innen wie außen.

Großer Baum umringt von Pflanzen neben Gebäudeteilen
Langer Flur aus Holz und Metall mit großen Fenstern, der Ausstellungsbereiche miteinander verbindet

Kern der Sammlung mit mehr als 3000 Kunstwerken sind im Grunde die großen „Blue Chips“ nach dem zweiten Weltkrieg von Anselm Kiefer bis Andy Warhol. Mittlerweile ist das Museum eine Stiftung und wird durch Spenden und aber auch vom dänischen Kultusministerium unterstützt. Es ist das wichtigste Museum für zeitgenössische Kunst in Dänemark. Und es gibt natürlich Sonderausstellungen mit jungen Künstlern. Ebenso gibt es ein Literaturfestival.

lange, dürre Skulpturen in einer Ausstellung

Trust memory over history

Trepp’ auf Trepp’ ab, ein halbes Fitnessprogramm hat man absolviert, wenn man Louisiana durchläuft. Vorbei an einer großen Sammlung von Giacomettis wunderbaren Skulpturen, langen Gängen und gigantischen Bäumen bis wir zur ersten Ausstellung von Firelei Bâez in Europa kommen.

Blick von oben in Ausstellungsraum mit dünnen, langbeinigen Skulpturen und Blick ins Grüne durch ein riesiges Fenster

Firelei Bâez stammt aus der Dominikanischen Republik und ist ab ihrem neunten Lebensjahr in Miami aufgewachsen. Sie hat in den USA Kunst studiert. Ihre kraftvollen Arbeiten sind Mischtechniken die aus Archivmaterial, wie Büchern, Kopien oder großformatigen Landkarten, entspringen. Auf diesen arbeitet sie abstrakt und figurativ mit meist kräftigen Farben, die scheinbar aus dem darunterliegenden Material herausfließen. Sie verarbeitet die gewaltvolle Geschichte der Zerstreuung der schwarzen Bevölkerung über den Planeten, gepaart mit karibischer Mythologie, persönlichen Einflüssen bis hin zu Science Fiction. Bombastische, vielschichtige, kleine wie große Werke, die nachhaltig beeindrucken. Wir waren begeistert.

Bunte Mixed Media Art auf übermalten Archivbildern
Knallpinkes Bild mit Trauben und Haarsträngen auf einem alten Dokument
Ausstellungswand mit bunten Zeichnungen und übermalten Dokumenten

Nach diesem mehr als empfehlenswerten Besuch ging es mit der Fähre über den Øresund nach Schweden und zu einem ziemlich begeisternden Abendessen mit Blick aufs Meer.

KAFKAesque 

KAFKAesque 

KAFKAesque

DOX Prag

Prag ist ja definitiv eine Reise wert und gar nichtmal weit sondern mit unserer und der tschechischen Bundeseisenbahn bequem zu erreichen. Die Prager Burg ist von gigantischen Ausmaßen, und mit erhöhtem Besucheraufkommen ist ebenso zu rechnen. Am sonnigen Samstagmorgen sind wir dann los spaziert und hörten von weitem schon DIE Moldau. Also nicht den Bach, sondern die von Herrn Smetana. Was irgendwie den Tag beschwingt hat. Geradezu ein Ohrwurm, der einen für den Rest des Tage begleitet hat.

Aber es wurde voller und voller, und die Musik stetig lauter. Da sind wir Punkt zehn mitten in den Start des immerhin 16.000 Teilnehmer zählenden Halbmarathon geraten. Ein gewaltiges Besucher- und Läuferaufkommen. Bis hierher und nicht weiter — bis sie dann alle an uns vorbeigejoggt waren. Wir mussten uns erstmal in einem gut besuchten Café mit einem leckeren Frühstück stärken bevor es weiter zum nicht ganz so stark besuchten DOX ging um deutlich schwerere Kost zu genießen.

Dreißig für Franz

DOX ist das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Tschechien und mitten in Prags aufstrebenden Viertel Holešovice. Mehrere alte Fabrikgebäude, die ziemlich cool zu einer Galerie umgebaut wurden und sogar für den Mies-van-der-Rohe-Preis nominiert waren. Tschechische und internationale junge Künstler werden hier gezeigt. Und wie soll es anders sein, zum 100. Todestag von Kafka ging es in dessen Geburtsstadt ganz schön KAFKAesque zur Sache.

Vogelperspektive in Ausstellung mit Bildern und großen Hornlautsprechern
dunkler Flur in einer Ausstellung mit Textpassagen und Animationen
Ausstellungsraum mit Skulptur, Video und Bildern
schwarze Zeichnung mit zwei Personen auf weißer Wand
düsterer Ausstellungsraum mit großformatigen Bildern an Wand

30 Zeitgenössische Künstler haben Kafkas Werk reflektiert und dessen Welt mit ihren Augen neu dargestellt. Die Werke sind von der Machart alle sehr unterschiedlich und einige ziemlich verstörend. Manche gehen textlich, andere malerisch, skultptural, mit bewegtem Bild oder gar als Installation daran, ihre eigenen Visionen von Kafka inspiriert zu schaffen. Und diese Werke sind zumindest teilweise so schwer wie die des Meisters selbst zu entschlüsseln oder zu interpretieren. Ziel war es Künstler zu finden, die eine persönliche Beziehung zu Kafkas Welt aufgebaut haben. Ob dies gelungen ist, muss der Betrachter wohl selbst entscheiden. Spannend war es allemal.

Porträt von Franz Kafka

Gullivers Airship

Das DOX hat viel zu bieten, neben besagter umfangreicher Ausstellung gab es zwei weitere spannende Künstler zu sehen. Transforman von Pavel Forman mit (Alp-)traumhaften Gemälden, sowie Kamila Ženatás illustrative Interpretation des Gedichts „Everything like at the dawn of the world“ von Václav Hrabě. Ihre vielschichtigen abstrakten Werke gehen von den Wurzeln zu den Sternen. Das Universum spielt für sie eine große Rolle — der Anfang der Welt. Nach soviel schwerer Kunst wären wir am liebsten in Gullivers Zeppelin gestiegen, der auf dem Dach des DOX geparkt hat. Haben uns dann aber doch zum Bahnhof geschleppt und uns in die Sitze des RJX Richtung Heimat fallen lassen, immer noch die Moldau im Ohr. Ab nach Hause – da gab es noch Mutters Geburtstag zu feiern und sicher einen leckeren Kuchen!

skurrile Gemälde mit fischähnlichen Vögeln
bunte abstrakte Bilder an Ausstellungswand

Zhanna Kadyrova

Zhanna Kadyrova

Zhanna Kadyrova

UNEXPECTED

Aufgefallen war uns das Plakat schon zwei Tage zuvor, aber wir hatten vier desinteressierte Amerikaner im Gepäck die nicht zu einer unerwarteten Kunstausstellung in der Tschechischen Philharmonie passten. Schließlich hatten wir aber die Zeit – die Amis sind shoppen – doch mal genauer zu schauen. Und so führte uns unser Weg ins Gebäude, „Rudolfinum“ genannt, und in die sich darin befindende gleichnamige Galerie. Mit kostenfreiem Zutritt. Die Hürde war also nicht besonders groß!

KRIEG!

Die ukrainische Künstlerin Zhanna Kadyrova arbeitet in der Ausstellung den unerwarteten und heimtückischen Überfall Russlands, am 24. Februar 2022, auf die Ukraine auf. Unerwartet wird das Land verwüstet, unerwartet Häuser zerbombt, unerwartet schlagen Granaten ein, unerwartet werden Menschen zu Flüchtlingen. UNEXPECTED.
Ausstellungsraum mit weißem Raum in Raum
Vier gezeichnete Portraits an Wand
Einschussloch in Asphaltplatte als Kunst

Ungerecht

Auch Zhanna Kadyrova wird unerwartet zum Flüchtling. Im Dorf Berezovo in den Karpaten findet sie Zuflucht. Sucht nach Antworten, will weiterhin Kunst machen und damit ihr Land unterstützen. Sie will mit ihrer Kunst auf den Krieg und die große Ungerechtigkeit, die Land und Leute unerwartet heimsucht, aufmerksam machen.

Zerstörung so weit das Auge reicht

Wenn man die Ausstellung betritt, weiß man im ersten Moment noch nicht was einen erwartet. Da stehen weiße, geometrische Formen im Raum mit Schusslöchern, an den Wänden weiße und schwarze Kacheln, auch mit Schusslöchern und Rissen. Hmmm. Im nächten Raum rechteckige große Asphaltstücke — aus der Straße geschnitten mit Einschlaglöchern von Granaten. Es dämmert. Zeichnungen von Gesichtern daneben. In einem Raum im Raum liegen große Kiesel-Steine, in Form von Broten, davon Scheiben heruntergeschnitten. Diese „Brote“ verkauft Kadyrova um die Menschen in ihrer Heimat zu unterstützen.

Steinerne Brote teilweise aufgeschnitten als Kunst-Skulpturen
Skulpturen und Wandbilder in geometrischen Formen mit Einschusslöchern
Einschüsse auf quadratischen und runden Platten
Namen von zerstörten kulturellen Einrichtungen an einer Ausstellungswand

Durchlöchert

Im nächsten Raum stehen die Namen von kulturellen Einrichtungen an der Wand, die durch den Krieg zerstört wurden. In einem weiteren Raum, dieser ist abgedunkelt, steht ein kleines Haus. Darin ein riesiger Kronleuchter. Hell erleuchtet. Das Licht fällt durch die von Einschüssen durchlöcherten Wände nach außen und hinterlässt sein Lichterspiel an der Wand. Schön schaurig, unerwartet.

Kunst-Installation eines im Krieg zerstörten Hauses mit Einschusslöchern und Licht das nach außen dringt

Hoffnung

In einem weiteren Raum stehen Leuchtwände mit Bildern aus verlassenen Häusern, die einen erfassen, nicht nur durch das helle Leuchten. Verlassen, verwelkt, unerwartet. Doch dann, man geht weiter — es grünt! Kadyrova hat auf ihren Reisen durch die zerstörten und verlassenen Gebiete Pflanzen gesammelt, die es geschafft haben zu überleben. Ein Symbol. Auch unerwartet. Diese Pflanzen geben Kraft weiter zu hoffen, dass ein Ende des Krieges kommt und die Menschen wieder eine Perspektive bekommen. Hoffen wie es!

Verlassene Häuser auf Leuchtwänden
Grünpflanzen in einer Ausstellung

Unterstützenswert

Zhanna Kadyrova wurde 1981 in der Nähe von Kiew in der Ukraine geboren. Dort lebt und arbeitet sie zur Zeit. 1999 hat sie ihren Abschluss an der Staatlichen Taras-Schewtschenko-Kunstschule gemacht. Sie hat mehrere Kunstpreise gewonnen, auch in Miami, und vertrat auf der 58. Biennale in Venedig ihr unerwartet zerstörtes Land. Sehens- und unterstützenswert!